
Sind 250,00 EUR abschreckend?
Diskriminierung wegen des Geschlechts
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat am 5. Dezember 2024 geurteilt, dass Teilzeitbeschäftigte – ebenso wie Vollzeitkräfte – ab der ersten Stunde einen Anspruch auf Überstundenzuschläge haben. Darüber hinaus erkannte das BAG in der unterschiedlichen Behandlung von Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes eine Diskriminierung wegen des Geschlechts und sprach eine Entschädigung in Höhe von 250,00 EUR zu.
*soweit in diesem Beitrag nur die männliche Form genannt wird, ist die weibliche / diverse Form zugleich miterfasst.
BAG, Urteil vom 05.12.2024 - 8 AZR 370/20 (PM)
Zusammenfassung der Pressemitteilung des BAG
Die Parteien streiten über den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Zahlung von Überstundenzuschlägen sowie über eine Entschädigung gemäß dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG).
Die Klägerin ist als Teilzeitpflegekraft bei der Beklagten beschäftigt. Der auf das Arbeitsverhältnis anwendbare Tarifvertrag sieht vor, dass Überstunden nur dann mit einem Zuschlag von 30 % vergütet werden, wenn sie über die monatliche Arbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten hinausgehen. Die Klägerin verlangte den Zuschlag ab der ersten von ihr geleisteten Überstunde im Rahmen ihres Teilzeitarbeitsverhältnisses sowie eine Entschädigung wegen Diskriminierung in Höhe von 4.500,00 EUR. Mehr als 90 % der bei der Beklagten angestellten Teilzeitkräfte sind Frauen.
Das Arbeitsgericht wies die Klage insgesamt ab, während das Landesarbeitsgericht lediglich die Überstundenzuschläge zusprach und die Klage im Übrigen abwies. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) setzte das Verfahren aus und bat den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) um eine Auslegung der unionsrechtlichen Bestimmungen. Der EuGH entschied, dass die tarifvertragliche Regelung gegen das Verbot der Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten verstößt, da keine anteilige Anpassung der Überstundenregelung für Teilzeitbeschäftigte vorgesehen ist (EuGH, Urteil vom 29. Juli 2024 - C-184/22 und C-185/22 [KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation e.V.]).
Die Revision der Klägerin hatte vor dem 8. Senat des BAG teilweise Erfolg. Der Senat sprach der Klägerin die verlangte Zeitgutschrift – in Übereinstimmung mit dem Landesarbeitsgericht – zu und hat darüber hinaus eine Entschädigung i.H.v. 250,00 EUR zuerkannt. Auf Grundlage der Vorgaben des EuGH hatte der Senat davon auszugehen, dass die tarifvertragliche Regelung insoweit wegen Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten unwirksam ist. Der Senat konnte keinen sachlichen Grund für diese Ungleichbehandlung feststellen. Die sich aus § 4 Abs. 1 TzBfG ergebene Unwirksamkeit der Vorschrift führt zum zum Anspruch der Klägerin auf den eingeklagten Anspruch. Zudem hat der Senat eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zuerkannt, da die Klägerin durch die Regelung mittelbar wegen ihres Geschlechts benachteiligt wurde. Über 90 % der bei dem Beklagten tätigen Teilzeitbeschäftigten, die dem persönlichen Anwendungsbereich des Tarifvertrages unterfallen, sind Frauen. Der Betrag von 250,00 EUR wurde als ausreichend angesehen, um den immateriellen Schaden auszugleichen und eine abschreckende Wirkung gegenüber dem Beklagten zu erzielen.
Fazit & Praxistipp
Teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer haben – bei Vorliegen einer entsprechenden Regelung – ab der ersten Stunde denselben Anspruch auf Überstundenzuschläge wie ihre vollzeitbeschäftigten Kollegen und können diesen geltend machen. Eine Ungleichbehandlung zwischen Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigten ohne sachlichen Grund stellt eine mittelbare Benachteiligung aufgrund des (weiblichen) Geschlechts dar, wenn innerhalb der betroffenen Gruppe der Teilzeitbeschäftigten ein erheblicher Frauenanteil besteht. Dies führt zu Entschädigungsansprüchen. Wie das Bundesarbeitsgericht die abschreckende Wirkung einer Entschädigung in Höhe von 250,00 EUR begründet, wird abzuwarten sein, bis die Entscheidungsgründe vorliegen.
Verfasserin dieses Beitrags: Janina Aue, Rechtsanwältin & Mediatorin
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